Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

28.09.2023

Angebote für die ältere Generation

"Alte Frauen kommen im Hilfesystem nicht vor", so die Erfahrung von Denise Klein, Beraterin bei Paula e. V.

Ist es notwendig, ein spezielles Beratungsangebot vorzuhalten für Frauen ab 60 Jahre? Kann eine 72-Jährige denn nicht eine Frauenberatungsstelle aufsuchen oder die Nummer des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" wählen? Denise Klein, Diplom-Pädagogin und als Beraterin bei Paula e. V. in Köln tätig, lächelt bei ihrer Antwort, sie hat die Frage schon oft gehört: "Ja, es ist notwendig, Frauen in höherem Lebensalter ein exklusives Beratungsangebot zu machen. Höchstwahrscheinlich gibt es ältere Frauen, die beim Hilfetelefon 'Gewalt gegen Frauen' anrufen oder vielleicht auch den Chat nutzen. Aber mutmaßlich gibt es mehr Seniorinnen, die es nicht tun. Sie fühlen sich nicht angesprochen von Angeboten des Hilfesystems, für sie sind die Hürden zu hoch."

Erinnerung an frühere Ohnmachtsgefühle

Paula e. V. berät Frauen ab 60 Jahren. Die Beratungsstelle wurde vor 13 Jahren von Martina Böhmer gegründet. Die Altenpflegerin für Geriatrische Rehabilitation registrierte, dass viele ältere Frauen in ihrem Leben traumatischen und belastenden Ereignissen ausgesetzt waren, etwa Kriegserfahrungen, sexualisierter und Häuslicher Gewalt oder erzwungener Migration. Im Seniorinnenalter kann es passieren, dass alterstypische Belastungen, Erkrankungen, Pflegebedürftigkeit und der Verlust von körperlicher und kognitiver Selbstständigkeit Erinnerungen an frühere Ohnmachtserfahrungen wachrufen. Martina Böhmer, Fachberaterin in der Altenhilfe und -pflege, setzt sich dafür ein, dass ältere Frauen spezielle Unterstützung erfahren. Denn Frauen, die in der Vergangenheit belastende Ereignisse bis hin zu traumatischer Gewalt erlebt haben, sind langfristig in ihrer Gesundheit und in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt: Schlafstörungen, Albträume, hoher Blutdruck, Depressionen, Verwirrtheit und Ängste können die Folge sein.

"Ältere Frauen werden nicht ernst genommen"

"Auch in ihrer aktuellen Lebenssituation erleben viele ältere Frauen Belastungen und Gewalt, etwa in Partnerschaft und Ehe, aber auch oder im Rahmen eigener Pflege- und Hilfebedürftigkeit. Ebenso können ältere Frauen durch die Pflege von Angehörigen vor besondere Herausforderungen gestellt sein", sagt Denise Klein. Sie hadert mit dem Bild von älteren Frauen in der deutschen Öffentlichkeit. "Sie sind nicht sichtbar. Sie werden nicht ernst genommen. Meldet sich beispielsweise eine 68-Jährige bei der Polizei und zeigt eine Vergewaltigung an, kann es ihr passieren, dass man ihre Situation nicht ernst nimmt, ihr nicht glaubt. Die in der Gesellschaft vorherrschenden Altersbilder entsprechen oft nicht den vielfältigen Lebensentwürfen und den Stärken der älteren Menschen von heute."

Hohe Zugangshürden zur Hilfe

Denise Klein beobachtet, dass im Hilfesystem in Deutschland für von Gewalt betroffene Frauen die Zugangshürden für ältere Frauen zu hoch sind. "Sie kommen im Hilfesystem einfach nicht vor. Sie fühlen sich auch nicht angesprochen", so Denise Klein. Es gebe keine barrierefreien Schutzwohnungen oder Schutzhäuser mit Pflegedienst. Auf demenzielle Erkrankungen sei auch niemand im Hilfesystem eingestellt. Zudem dauerten Beratungs- und Unterstützungsprozesse für diese Altersgruppe unter Umständen sehr lang. "Selbstverständlich ist jede Beratung individuell abgestimmt auf die jeweilige Person, aber bei Hochbetagten haben wir es mit einer Generation zu tun, die lange nicht gesprochen hat. Es gab kaum Worte für sexuelle Übergriffe. Es ist eine Generation, die aufgewachsen ist mit dem Schweigen. Für die Häusliche Gewalt ein Tabuthema war. Eine Generation, in der die wenigsten Frauen berufstätig waren – und wir erinnern uns: Dass Vergewaltigung in der Ehe als Straftat bewertet wird, gibt es erst seit 16 Jahren. Viele zwischen 1940 und 1950 geborene Frauen waren stets abhängig von ihren Männern, da ist es unwahrscheinlich, dass sie mit 70 oder 80 aus dem vertrauten Zuhause ausziehen."

Aufsuchende Beratung funktioniert gut

Paula e. V. bietet unter anderem auch aufsuchende Beratung an. Denn ältere Frauen sind oft nicht mehr mobil. Einige berichten von sexueller Gewalt in der Kindheit und fühlen sich sehr erleichtert, einfach mal darüber sprechen zu können. Denise Klein berichtet von Aussagen wie dieser: "Ich dachte, für mich ist es viel zu spät, die Erinnerung nochmal zuzulassen, aber es ist nie zu spät und ich verspüre eine große Erleichterung." Denise Klein wünscht sich, dass die Hilfesysteme für von Gewalt betroffene Frauen ausgebaut und stärker auf die Bedürfnisse von Seniorinnen abgestimmt werden. "Auch für unseren Verein wäre finanzielle Unterstützung wichtig. Noch werden wir durch die Deutsche Fernsehlotterie unterstützt und mit einer halben Stelle durch die Stadt Köln. Wenn aber die Deutsche Fernsehlotterie wegfällt, ist unsere Arbeit gefährdet. Das sollte nicht passieren – denn wir wollen weiterhin eine Stimme für die ohnehin kaum sichtbare Gruppe älter Frauen sein."

Denise Klein von der Beratungsstelle Paula e. V.

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